Ist es nicht merkwürdig, dass eine Person, die wir eigentlich gar nicht kennen, einer politischen Partei zu einem unerwarteten und ungeahnten Aufschwung verhelfen kann?
Natürlich ist Martin Schulz gemeint, der Hoffnungsträger der SPD für die anstehende Bundestagswahl, der plötzlich zum Heilsbringer für den deutschen Wähler wurde.
Regierungserfahrung?
Nein, mit Bundespolitik hatte er nichts am Hut bisher. Als er 2004 in Europaparlament einzog gehörte er zu der Menge von Politikern, die gerne Sitzungsgelder kassierten ohne an Sitzungen teilzunehmen. Das war recht einfach, man kam, trug sich in eine Liste ein und verschwand wieder, schon hatte man 262 Euro „Sitzungsgeld“ kassiert.
Inzwischen sind es sogar 307 Euro, die man täglich kassieren darf für die Anwesenheit bei Sitzungen – oder eben für die Scheinanwesenheit.
Ist es da nicht absurd, dass Martin Schulz nun „Gerechtigkeit“ anmahnt? Wofür möchte er im September eigentlich gewählt werden?
Für seine Europapolitik, die darin besteht, dass er Schulden der EU-Länder vergemeinschaften will, Freihandelsabkommen wie TTIP unterstützt, ansonsten aber keine Werte vertritt oder klare Aussagen macht?
Merkwürdig, dass die Beliebtheit einer Partei mit Martin Schulz als neuem Spitzenkandidaten innerhalb einer Woche um 8% steigt bei Meinungsumfragen.
„Sie kennen mich“ und „Weiter so“ wird im September nicht mehr klappen, das hat auch Angela Merkel erkannt. Der Streit um die Flüchtlingspolitik in der Union ist inzwischen alltäglich, und da Angela Merkel unfähig ist zuzugeben, dass sie 2015 eine Fehlentscheidung getroffen hat, als sie die unkontrollierte Einreise von Hunderttausenden von Flüchtlingen erlaubte, hat sich festgesetzt in den Köpfen der Wähler. Ihre Unbesiegbarkeit ist dahin, die Silvesternacht in Köln und der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt werden ihrer Politik angelastet.
Dabei wird übersehen, dass sich inzwischen im Umgang mit Asylbewerbern vieles um fast 180° gewandelt hat, Ablehnungen sind an der Tagesordnung, Duldung selbst von Syrern oder Afghanen ist nicht mehr sicher, auch wenn Abschiebungen noch immer an vielen Hürden scheitern.
Was erwartet uns mit Martin Schulz als Kanzler und mit der SPD als stärkster Partei?
Abbau der Videoüberwachung, Reduzierung von Personal bei den Sicherheitskräften, keine Abschiebungen mehr, auch bei Straftätern, weiterer Abbau von Arbeitsplätzen.
Schon einmal landete die SPD einen Coup, nämlich 1998, als Oskar Lafontaine als Parteivorsitzender den damals unbekannten Gerhard Schröder aus dem Hut zauberte und mit ihm als Kanzlerkandidaten Helmut Kohl aus dem Feld schlug.
Die Folgen kennen wir, der „Kumpel der Bosse“ baute Arbeitnehmerrechte ab, schwächte die Gewerkschaften, brachte mit seiner Agenda 2010 die Leiharbeit und die Arbeitslosigkeit nach Deutschland, schuf prekäre Verhältnisse bei Arbeitnehmern an denen sie noch heute leiden und auch als zukünftige Rentner unterhalb der Armutsschwelle auf Transferleistungen des Staates angewiesen sein werden.
Ja, Deutschland erholte sich als Wirtschaftsfaktor, wurde Exportweltmeister und ein reiches Land – aber nur wenige Eliten profitierten davon. Die Reallöhne stagnierten, die meisten Arbeitnehmer haben heute weniger Geld zur Verfügung als vor 2000, müssen sich mit befristeten Arbeitsverträgen durchschlagen und wissen nicht wie sicher ihre Altersversorgung ist.
Soll man wirklich Martin Schulz wählen?
Oder ist Angela Merkel das „kleinere Übel“?
Oder gibt es noch irgendeine Alternative?
Mir kommt es vor, als ob wir das Dilemma der US-Wähler nun in Deutschland erleben, zwei Kandidaten, von denen wir nichts Gutes erwarten dürfen.